Vor drei Jahren feierte der britische Regisseur Danny Boyle mit seinem Drama Slumdog Millionaire einen weltweiten Erfolg. Der Film heimste acht Oscars ein, der Filmemacher gewann auch selber einen der begehrten Goldjungen. Naturgemäß steigert ein solcher Triumph die Erwartungshaltung von Fans und Kritikern gleichermaßen. Mit seinem neuen Werk, dem auf einer wahren Begebenheit basierenden Bergsteigerdrama 127 Hours, kann Boyle diese aber problemlos erfüllen. Wie schon bei Slumdog Millionaire erzählt der Brite auch in 127 Hours (bekam sechs Oscar-Nominierungen) eine farbenprächtige, bildreiche und beeindruckende, aber zugleich beklemmende und erschütternde Geschichte mit Bravour.
„Good morning, everyone! It’s 6:45 Tuesday morning in BJ Canyon!”
Ein unglaubliches Schicksal
Der Hauptcharakter des Films ist der Extremsportler Aron Ralston (verkörpert von James Franco), der im April 2003 im Alleingang den Blue John Canyon in Colorado besteigen wollte. Doch beim Klettern kam es zum Unglück; Ralston rutschte ab und stürzte in eine Felsspalte, dort wurde sein rechter Arm von einem Felsen abgequetscht. Erst nach fünf Tagen – genau 127 Stunden – konnte der US-Amerikaner aus seinem Gefängnis entkommen und sein Leben retten. Dafür musste er sich den eingeklemmten Arm mit einem stumpfen Taschenmesser abtrennen.
Wer ohne Vorkenntnisse ins Kino geht, der rechnet zu Filmbeginn eher mit einem Abenteuerfilm im „Feel-Good“-Stil. Denn in den ersten, sehr schnell ablaufenden, Szenen sieht man Ralston bei den Vorbereitungen für seinen Klettertrip voller Vorfreude. Mit einem Jeep fährt er zum Canyon, den er schließlich rasant mit einem Mountainbike durchquert. Dabei trifft er auch auf die hübschen Hikerinnen (Kate Mara und Amber Tamblyn) und kann bei den Damen mit seiner charmanten und energetischen, wenn auch chaotischen, Art punkten. Er zeigt ihnen eine ungewöhnliche Art, den Canyon zu durchqueren, schwimmt mit ihnen durch einen unterirdischen See und führt sie durch die verlassene Berglandschaft. Beim Abschied wird er von den beiden noch auf eine Party eingeladen. Wieder allein macht sich Ralston schließlich auf den Weg zum Blue John bevor das Unglück seinen Lauf nimmt.
„I don’t believe that he will show up.”
Boyles Regie und Francos Schauspielkunst
Danny Boyles Filme werden gerne als „Bildgewaltig“ beschrieben. Das trifft ohne Zweifel auch bei 127 Hours zu. Farbenprächtig und eindrucksvoll stellt er die eigentlich eintönige Canyonlandschaft dar, mit raschen Kameraschwenks und der Split-Screen-Technologie bekommt man zu Beginn einen Eindruck vom Charakter der Hauptfigur. Als Ralston schließlich in der Felsspalte gefangen wird, erweckt jene Kameraführung und das nun kalte Licht einen Eindruck der Beklommenheit. Außerdem wird immer wieder eine Handheld-Kamera benutzt, die Ralston bei seiner Tour mitführte. Diese „selbstgemachten“ Aufnahmen des Bergsteigers sorgen für eine authentische Atmosphäre und spiegeln das Elend des US-Amerikaners wieder. Ein kleiner Kritikpunkt ist jedoch, dass in seltenen Fällen Effekte oder die Musikwahl nicht ganz passt.
An dieser Stelle muss man die herausragende schauspielerische Leistung von James Franco loben. Der trägt den Film schließlich ganz allein auf seinen Schultern und muss aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit hauptsächlich mit seiner Mimik, seinem Gesicht arbeiten. Dabei kauft man Franco den Kampf gegen Hunger, Durst und Kälte, den Kampf ums Überleben, zu jedem Zeitpunkt ab. Man sieht regelrecht die Angst, aber auch die Entschlossenheit in seinen Augen. Ein besonderes Highlight seiner Performance sind die überzeugenden Monolge, die er in die Kamera spricht. Er interviewt sich quasi selber, um seinen Mitmenschen eine Botschaft zu hinterlassen. Mit seiner Darbietung in 127 Hours hat sich der Hollywood-Beau wahrlich als einer der Führenden seiner Zunft etabliert. Schon lange konnte eine „One-Man-Show“ nicht mehr so überzeugen.
„Hey there, Aron! Is it true that you didn’t tell anyone where you were going?“
Ein würdiger Slumdog-Nachfolger
Dabei hilft natürlich auch das Drehbuch, welches Boyle in Zusammenarbeit mit Oscar-Preisträger Simon Beaufoy, basierend auf dem Buch von Aron Ralston, geschrieben hat. Beaufoy war schon bei Slumdog Millionaire für das Script verantwortlich. Die Dialoge und allen voran die Monologe des Gefangenen funktionieren, die eingeschobenen Wahnvorstellungen von Ralston verdeutlichen die körperliche und seelische Belastung des Akteurs. Doch besonders das Ende hat es schließlich in sich und ließ sogar einige Kinozuschauer in Ohnmacht fallen. Denn die Selbstamputation von Ralston bekommt der geneigte Filmliebhaber in voller Pracht zu sehen. Blutig, schockierend und sehr detailliert – doch zu keinem Zeitpunkt übertrieben und auf Effekthascherei ausgelegt dargestellt. Eine Szene, die verdeutlicht, wie verzweifelt die Situation für den Bergesteiger war und wie viel Lebenswille und Kraft in ihm gesteckt haben muss, um sein Schicksal zu überwinden und letztlich zu überstehen.
„It’s me. I chose this. I chose all this.“
Fazit von Wolfgang
127 Hours zeigt in eindrucksvoller Art und Weise den Überlebenskampf eines junges Mannes, der in einer schier ausweglosen Situation gefangen zu sein scheint. Dank seiner Inszenierungskunst vermittelt Regisseur Daniel Boyle die Atmosphäre und Beklommenheit der Geschichte meisterlich; sein Spiel mit den beeindruckenden Bildern, dem Wechsel zwischen Bewegung und Stillstand sowie der Farbenpracht ist eine Augenweide. Hinzu kommt die sehr gute Performance von James Franco, dem man das Leiden seiner Figur ohne Zögern abnimmt. Man fiebert bei jedem seiner Rettungsversuche unweigerlich mit und gerade dann, wenn man den Glauben an ein Happyend verliert, schimmert durch seine Kampfeskraft und seinen Willen neue Hoffnung durch. Der Film ist mit etwas mehr als anderthalb Stunden sehr kurzweilig und fesselt über die gesamte Spielzeit. 127 Hours erzählt eine spektakuläre wahre Geschichte auf hohem cineastischem Niveau und ist uneingeschränkt zu empfehlen.
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