Lange habe ich keinen Film mehr gesehen, zu dem ich lieber eine Rezension geschrieben hätte, als zu Die Tribute von Panem – The Hunger Games. Ein unglaublicher Hype und trotzdem gute Kritiken nach der Erstaufführung, machten mich darauf aufmerksam, dass es sich um keinen weiteren Teil der Twilight-Saga handeln konnte. Ein Blick auf Cast und Crew offenbarte mir dann noch mehr: Ich selbst hatte Winter’s Bone noch nicht gesehen, hörte jedoch schon viel von Jennifer Lawrence. Die Nebenrollen sah ich mit Stanley Tucci, Donald Sutherland und Woody Harrelson ebenfalls hochkarätig besetzt. Gary Ross sagte mir zuerst nichts, als ich jedoch sah, dass er für die souveräne Romanverfilmung Seabiscuit und den träumerisch einfallsreichen Pleasantville auf dem Regiestuhl Platz genommen hatte, stellte ich fest, dass Die Tribute von Panem für mich ein Kino-Pflichttermin ist. Kaum wieder daheim, stellte ich fest, dazu etwas schreiben zu müssen und nach der fairen Nacht des Überschlafens lasse ich das Werk nun Revue passieren.
„Happy Hunger Games!“
Gefühle im kalten Panem
Einmal im Jahr finden im dystopischen Staat Panem die Hungerspiele statt. Dort kämpfen zwölf Jungen und zwölf Mädchen in einer riesigen Arena ums Überleben, denn nur einer darf als Gewinner übrig bleiben. Die Spiele dienen der Einschüchterung des Volkes, denn nachdem eine Naturkatastrophe das Land ausgesaugt hat, muss die diktatorische Führung die Ordnung aufrechterhalten. In Form eines Medienevents wird die Veranstaltung vom Spielmacher (Wes Bentley) organisiert und von einem Showmaster (Stanley Tucci) moderiert. Jeder der zwölf Distrikte Panems muss zwei Tribute entsenden, je einen männlichen und einen weiblichen, welche ihn während der Spiele vertreten. Per Zufallsprinzip werden die Teilnehmer im letzten Distrikt gewählt und als der Name ihrer kleinen Schwester ertönt, meldet sich die toughe Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) freiwillig, um an ihrer Stelle anzutreten. Gemeinsam mit dem männlichen Vertreter Peeta (Josh Hutcherson) reist sie ins Kapitol. Sie hat drei Tage Zeit sich vorzubereiten und ein Auge auf die Tribute der anderen Distrikte zu werfen. Außerdem muss Katniss mittels auffälligem und sympathischem Auftreten Sponsoren für sich gewinnen, die ihr in der Arena Gegenstände zukommen lassen. Am Abend vor den Spielen erzählt Peeta dem Showmaster vor laufender Kamera von der tragischen Position, in der er sich befindet. Er hegt nämlich tiefere Gefühle für Katniss…
„And may the odds be ever in your favor.“
Fehlende Emotionen aufgrund fehlender Tiefe
Aber man darf nicht hoffen, dass es sich hierbei um einen Entertainment-Schachzug Peetas handelt. Denn obwohl es in den Büchern als solcher dargestellt wird, ist es in der Verfilmung nämlich nicht als solcher erkennbar, sondern wirkt tatsächlich mehr als das öffentliche Kundtun seiner Gefühle. Von dort an ging es dann auch abwärts. Der Einstieg überzeugt zwar nicht vollständig, baut aber wenigsten eine hinnehmbare Spannung auf, welche von der zweiten Hälfte des Films jedoch nicht im Entferntesten genutzt wird.
Bereits 1999 schrieb der japanische Autor Kōshun Takami den Roman Battle Royale. Hier wird zur Einschüchterung der Bevölkerung einmal pro Woche eine Schulklasse ausgewählt, die auf einer einsamen Insel unter ständiger Beobachtung bis zum Tod kämpfen muss. Parallelen zum aktuell erschienenen Blockbuster sind offensichtlich. Der Clou Takamis, eine Schulklasse – von vorn herein bestehend aus verfeindeten Cliquen und Sandkastenfreundschaften – gegeneinander antreten zu lassen, erzeugt eine Spannung, die The Hunger Games fehlt. Die Beziehungen der Figuren zueinander und die Gründe für ihr Handeln lassen sich nur schwer deuten und bleiben teilweise auch bis zum Ende des Films völlig im Unklaren. Gefühle und Verständnis kommen wie aus dem Nichts von der Leinwand gesprungen, ohne gründlich aufgebaut zu werden. Gerade bei einer Laufzeit von 142 Minuten erhofft man sich genauere Skizzierungen der Charaktere. Peeta ist eine überaus platte Figur, die von Josh Hutcherson außer einem Hundeblick nichts entgegen gebracht bekommt. Auch über Katniss erfährt man nach der ersten Hälfte des Films nichts mehr. Obwohl Suzanne Collins Hauptfigur allgemein als einer der prägendsten Charaktere moderner Jugendliteratur bezeichnet wird, kann sie einem nach dem Kinobesuch nicht lange im Gedächtnis bleiben. Jennifer Lawrence glänzt nicht, wird vom Drehbuch aber auch nicht gefordert. Gerade wenn Buchautorin und Regisseur gemeinsam am Skript arbeiten, kann man mehr erwarten. Die Erzählung strotzt geradezu vor Einfallslosigkeiten und Enttäuschungen.
Katniss Everdeen bleibt anfänglich interessant, da sie Probleme mit dem sicheren Auftreten gegenüber der Öffentlichkeit ebenso zeigt, wie Verachtung im Bezug auf die Dekadenz der panemschen Bourgeoisie. Sie ist sympathisch und man hat große Hoffnungen, mehr über diese Katniss zu erfahren und genauer herauszufinden, was sie antreibt. Leider führen diese Hoffnungen in eine bittere Sackgasse. Sobald sie sich in der Arena befindet, ist es vorbei mit Tiefgang. Ab und zu wird geweint und hin und wieder voller Hass geschrien, aber phrasenhafte Emotionen geben Handlungen nur oberflächlich einen Sinn. Katniss geriet bei mir nach der ersten Stunde fast völlig aus der emotionalen Halterung.
Wenn die Handlung stagniert, wirft das Skript scheinbar willkürlich menschenfressende Hunde in die Arena oder ändert das Regelwerk der Hungerspiele. Natürlich symbolisiert diese Willkür die Grausamkeit einer solch menschenverachtenden Medienveranstaltung. Die hohe Kunst wäre es jedoch gewesen, nicht die Glaubwürdigkeit des Films darunter leiden zu lassen. Stattdessen gerät die eigentliche Medienkritik verloren. Es geht nicht im Entferntesten um den Rahmen des Events oder um menschliche Konflikte außerhalb der Arena. Einmal wird eine Ausschreitung aufgrund der Hungerspiele in Distrikt 11 angerissen. Zu der Inszenierung dessen sagt man aber lieber gar nichts. Der Auslöser dieser Ausschreitung wurde mir zuvor als unglaublich emotional geschildert und er solle „wahre menschliche Gefühle zeigen“. Was ich dann erlebte war jedoch der Verlust einer Figur, die ich kaum kannte und die außer einer niedlichen Präsenz nichts zum Trauern übrig ließ. Gary Ross nahm sich mehr Zeit, die Trauer um die Figur zu zeigen, als sie einzuführen. Er beginnt, Knöpfe zu drücken, die beim Zuschauer etwas bewirken sollen. Der Knopf für Trauer vereint eine vor lauter Gefühl schreiende Katniss mit dem leblosen Körper eines Kindes und tragischer Musik. Die Tatsache, dass einem der Bezug zum Verstorbenen fehlt, macht das Drücken jedoch nutzlos. Wer Emotionen auf Knopfdruck erzeugt haben will, lässt sich lieber von den drei Hauptfiguren in Warrior mitreißen.
„Tuck in your tail, little duck“
Aufwertung
Was man dem Film jedoch lassen muss, ist der gelungene Spannungsaufbau in der ersten Hälfte und die stimmungsvolle Musik. An vielen Stellen gibt letztere dem Film die nötige Ruhe und Besonnenheit. Außerdem liefern die Nebendarsteller gute Leistungen ab. Stanley Tucci und Elizabeth Banks sind herrlich abgedreht und würzen hin und wieder die erste Stunde von The Hunger Games. Ebenso Woody Harrelson, welcher als Mentor der beiden Vertreter des zwölften Distrikts, absolut überzeugt. Er spielt einen Säufer, der die Spiele bereits einmal überlebte und stellt sich im späteren Verlauf als gerissener Außenstehender dar. Lobenswert sind ebenfalls Kostüm und Maske. Die exzentrisch geschminkte Oberklasse Panems verleiht dem diktatorischen System die nötige Skurrilität, um den Vorgang einer kritischen Stellungnahme gegenüber aktuellen TV-Shows zu begünstigen. Wie bereits gesagt, versickert dieser Vorgang jedoch im Laufe der Handlung, wodurch der metaironische Sinn verloren geht und die Ausstattung lediglich als optischer Zusatz fungiert. Die Effekte sind im Bezug auf aktuelle Standards nicht nennenswert.
„My mother said, ‚It looks like District 12 may finally have a winner.‘ But she wasn’t talking about me. She was talking about you.“
Das Schlimmste
Was The Hunger Games in meinen Augen tragischerweise reflektiert ist die Zukunft des Hollywoodkinos. Diese besteht nämlich nicht in 3D, sondern in dem, was mir das Bitterste am ganzen Film war: Hektik. Es ist unvorstellbar, wie stark jenes reduziert wird, was der Zuschauer tatsächlich erkennen muss. Gerade in Actionsequenzen wird geschwenkt, gewackelt und geschnitten, was das Zeug hält. Man erkennt eine Minute lang nichts, glaubt danach jedoch, eventuell ein Messer, Katniss und einen Rivalen erkannt zu haben. Die Rechtfertigung, dadurch mitten im Geschehen zu sein, ist inakzeptabel. Wenn so das Geschehen aussehen würde, hätte keines der 24 Tribute überlebt. Das trotz eines fast 80 Millionen Dollar-Budgets so viel kaschiert werden muss, ist tragisch. Die Zukunft des Kinos soll also in pompösen Ausstattungen und schwacher Inszenierung liegen? Kameramann Tom Stern gehört dafür weggesperrt. Schließlich hat er auch in völlig unpassenden Momenten für Hektik gesorgt. So wird wild in der Gegend herum geschwenkt, wenn jemand etwas aus seiner Tasche holt und auf den Tisch legt.
Ich war nie empfindlich in Sachen Handkamera-Hektik. Selbst in Der Herr der Ringe wurde kräftig gewackelt, wenn es zu Kämpfen kam. Aber vielleicht liegt die Wurzel der Tatsache, nichts erkennen zu können, darin, nichts erkennen zu dürfen. Schließlich sind es Kinder und Jugendliche, die sich gegenseitig an die Kehle gehen, mit Messern aufeinander einstechen und sich einander das Genick brechen. Wenn man sich jedoch einem solchen Projekt widmet, muss man auch damit umgehen können, die Leute zu schocken. Diese Geschichte ist mit einer FSK 12 wirklich wohlwollend behandelt worden, kann diese Verantwortung jedoch nicht tragen. Zugunsten höherer Zuschauerzahlen wird gewackelt statt gezeigt. Darin scheint die Zukunft zu liegen.
„I volunteer as a tribute!“
Fazit von Moviemax
Das, was er in den Actionszenen überstürzt, macht er im Erzählerischen zu langsam. Trotz der langen Laufzeit offenbaren die Figuren dem Zuschauer zu wenig. Spannung und Realitätskontext gehen nach der guten ersten Hälfte schnell verloren, da die Handlungen und Reaktionen nicht nachvollziehbar bleiben. Stattdessen wirken überzogene Feindbilder in Form einer jugendlichen Terrorclique eher unfreiwillig komisch, obwohl man sagen muss, dass The Hunger Games seinen ernsten Grundcharakter ausreichend aufrecht erhält. Die Nebenrollen sind super besetzt, verhindern jedoch nicht, dass fehlende Bindungen der Figuren an den Zuschauer zu fehlender Emotionalität führen. Außerdem ist das Handkameragewackel nahezu unerträglich. Letztendlich schafft es Die Tribute von Panem – The Hunger Games nicht im Geringsten, mir Katniss, geschweige denn Panem, näher zu bringen. Scheitern tut der Film am stärksten jedoch an seiner Einfallslosigkeit.
6 Comments
Leave a Reply