Seit 100 Jahren gibt es Vampirfilme und damit eine stete cineastische Neuinterpretation dieses uralten Mythos. Die untoten Wiedergänger waren in der Historie des Volksglaubens ein weltweites Phänomen, erfuhren aber schließlich im Jahre 1897 mit Bram Stokers Roman Dracula ihren Eingang in die Populärkultur. 1922 schuf der deutsche Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau die wohl bedeutendste, wiewohl nicht autorisierte Adaption des Stoffes: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens. Das Meisterwerk der Stummfilm-Ära sollte praktisch das gesamte Genre definieren. Nicht minder bedeutend war schließlich Dracula von 1931, in dem Bela Lugosi den Grafen aus Transsylvanien weltberühmt machte. Danach begann auch die erste Fortsetzungs-Wut der Studios, die dem so künstlerisch wie kommerziell erfolgreichen Film nacheiferte.
In den 60ern und 70ern wurden schließlich eine fast schon endlose Reihe von B-Pictures mit dem nunmehr allzu bekannten Vampirfürsten produziert, deren Qualität oft genug mehr schlecht als recht war. Unter anderem Christopher Lee verkörperte selbigen mehrfach in diversen Streifen der englischen Hammer-Studios (mit so wunderbaren Titeln wie Dracula jagt Minimädchen von 1972). Zu den besseren und aufwändigeren Werken gehörten da noch Tanz der Vampire (1967) von Roman Polanski und Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) von Werner Herzog, welches mit Klaus Kinski in der Hauptrolle praktisch als Remake vom originalen Nosferatu gesehen werden kann. 1987 erschienen schließlich zwei Filme, die das Vampir-Thema interessant variierten und so junge wie wilde Blutsauger zum Thema haben: Near Dark und The Lost Boys.
1992 wurde Bram Stoker’s Dracula zu einem barocken Fest für die Augen, gekrönt von einer so tragischen wie sinnlichen Darstellung durch Gary Oldman. Von literarischer Seite her formte eine gewisse Anne Rice das Bild der Wiedergänger praktisch zu jenem weithin bekannten Popkultur-Vampir, wie wir ihn heute kennen. Interview mit einem Vampir (1994) war die Adaption von einem ihrer Romane. 1996 kam From Dusk Till Dawn in die Kinos, der sich mitten in der Handlung in ein überraschendes Splatter-Fest verwandelte, während in Blade (1998) die Vampire und der Vampirjäger zu absoluter Coolness und absoluter Brutalität hochstilisiert wurden. In den 00er-Jahren gab es alle nur erdenklichen Fortsetzungen, Remakes und weitere Variationen des bekannten Mythos zu sehen. Erwähnenswert sind die mehrteiligen Sagas Underworld und Twilight, die in gewisser Weise den Gegensatz von unterkühlter Action und verkitschter Romantik-Schmiererei darstellen.
Und 2008 machen ein paar Schweden einen scheinbar kleinen Film, der in seiner ganzen stilistischen Eigenwilligkeit und atmosphärischen Dichte den Vampir-Film neu interpretiert und dabei besser nicht sein könnte…
”Ich bin kein Mädchen.”
Schnee fällt…
Der Winter ist eisig kalt in Blackeberg, einem etwas trostlosen Stockholmer Stadtbezirk mit etwas trostlosen Wohnsiedlungen. Der zwölfjährige Oskar sucht in der Nacht die tröstende Einsamkeit, wo er in der Stille ganz bei sich sein kann. In der Schule quälen in die Mitschüler. Seine Eltern sind geschieden. Immerhin scheinen die neuen Nachbarn irgendwie interessant.
Unheimliche Morde geschehen innerhalb nur allzu kurzer Zeit in dem sonst so ruhigen Ort. Man findet eine ausgeblutete Leiche, kopfüber an einem Baum hängend. Das Eis offenbart einen Toten. Aus dem oberen Stockwerk eines Krankenhauses stürzt ein durch Säure verätzter Mann.
Die Katzen werden aggressiv…
Oskar begegnet zu später Stunde einem seltsamen Mädchen, das ihn auf unerklärliche Weise fasziniert. Eli heißt sie. Sie sagt, sie sei auch ungefähr zwölf. Die Kälte macht ihr nichts aus. Schokolade bringt sie zum Kotzen. Sie sagt, sie sei kein Mädchen. Dann weiß er, dass sie ein Vampir ist. Oskar ist das egal und sie gehen miteinander. Aber schließlich wird es für beide zu gefährlich, denn Menschen sind grausam…
”Bist du… tot?”
Blut fließt…
Ich habe noch selten einen so leisen, bedächtigen und ruhigen Film gesehen, der aber gleichzeitig so konsequent einen Spannungsbogen aufbaut und mit nur wenigen, kleinen Szenen einen fast verstört zurück lässt. Von der ersten, famosen Einstellung an, wo man langsam den weißen Schnee vor tiefster Schwärze rieseln sieht und am linken Rand der Schriftzug der Credits auftaucht, fasziniert So finster die Nacht auf eine ganz eigenwillige und schwer zu beschreibende Art und Weise.
Manche Einstellungen sind fast traumgleich, andere surreal und wieder andere brutal realistisch. Die Inszenierung ist sehr reduziert: ohne schnelle Schnitte, ohne wilde Kamerafahrten, ohne visuelles Spektakel. Oft wird das Bild fast komplett von den Gesichtern ausgefüllt und man hört nur kaum wahrnehmbare Geräusche und fast nur noch gehauchte Worte. Dazu in nur wenigen Sequenzen eine orchestrale Musik, die dem Visuellen noch mehr an Elegie verleiht.
Überall Kälte, Schnee und Nacht. Eine atmosphärische Dichte von Trostlosigkeit, Einsamkeit, aber auch nacktem Horror baut sich immer mehr auf, während gleichzeitig eine Liebe zu blühen beginnt, wie sie ungewöhnlicher und zugleich zärtlicher nicht sein könnte.
”Schrei wie ein Schwein.”
Kinder töten…
Auf gänzlich subtile Art wird hier eine mythische Welt inmitten einer sozial-realistischen Gemeinschaft gezeigt, die von einem brutalen Schrecken überfallen wird. Das gänzlich Ungewöhnliche hinterlässt im nur allzu Gewöhnlichen blutige Spuren.
Aber es ist in erster Linie die Welt der Erwachsenen, die hier in die Brüche geht und die zum Opfer wird, denn an einer anderen Stelle wächst ein kleines Idyll heran, eine kindliche Liebe, die etwas zutiefst Heilsames in sich hat. Der Außenseiter wird endlich akzeptiert und angenommen, gleichzeitig aber auch herausgefordert und daran vermag er zu wachsen. Die Unterdrücker werden bestraft und der Langeweile wird geflohen.
”Willst du mit mir zusammen sein?”
Kinder lieben…
Bei aller sonstigen Großartigkeit dieses außergewöhnlichen Films, muss man als ansonsten ein wenig abgebrühter Kritiker die beiden absolut wunderbaren Schauspieler Kåre Hedebrandt, in der Rolle des Oskar, und Lina Leandersson, in der Rolle der Vampirin Eli, gesondert hervorheben. Was hier die beiden Kinderdarsteller mit jeweils zwölf Jahren leisten, ist außergewöhnlich.
Ein so nuancierte, stimmige und instinktiv eindringliche Performance erlebt man sonst kaum wo. Sie machen den Film erst zu diesem überwältigenden Triumph, der er dank der Leistung dieser beiden Ausnahmetalente ist. Einen glaubhafteren und besseren Cast, von dem der Rest der in erster Linie erwachsenen Darsteller regelrecht an die Wand gespielt wird, hätte man sich für einen solchen Streifen nicht wünschen können.
”Weggehen heißt leben, hierbleiben der Tod. ”
Fazit von Spenz
So finster die Nacht ist für mich vielleicht der beste Vampirfilm überhaupt. Das mag angesichts der zugegebenermaßen mehr als nur harten Konkurrenz in der gesamten Historie des Kinos etwas arg hochgegriffen klingen, aber selbst bei allem Respekt vor den diversen Klassikern (die somit eigentlich außer Konkurrenz sind und als bedeutende Kunstwerke von mir sehr wohl anerkannt werden), hat mich keiner davon so sehr fasziniert wie dieser kleine, ungewöhnliche Film aus Schweden.
Ich kann wirklich nicht genau sagen, warum ich bei der Beschauung dieses Genre-Meisterwerks so gänzlich in die Begeisterung enthoben wurde, und ich bin mir sicher, dass es genug geben wird, die das auch nicht nachvollziehen können, aber diese eindringliche Atmosphäre, diese reduzierte Inszenierung, dieser langsame und doch spannende Aufbau, dieses nuancierte Schauspiel, diese sensible Darstellung einer beginnenden Liebesbeziehung, dieser greifbare Horror und diese gesamte Unwirklichkeit bei einer zugleich in sich glaubhaften Darstellung einer Geschichte und einer Welt… haben mich gänzlich überzeugt und mitgenommen.
Wer sich ganz und gar auf So finster die Nacht einlässt, wird mit einem Filmerlebenis belohnt, wie man es wohl sonst wo nur noch selten findet.
Blu Ray-Extras:
Bei aller Großartigkeit des Films selbst (inklusive Bild und Ton der Blu Ray), so sind die Zusatz-Features enttäuschend. Es gibt lediglich einige entfallene Szenen, den Trailer und ein Audiokommentar. Immerhin Letzteres weiß durch viele informative und teils auch witzige Aussagen vom Regisseur und dem Autor zu überzeugen.
PS: Der Film ist die Adaption des gleichnamigen Romans (erschienen 2004) von John Erik Ajvide Lindqvist. Den werde ich mir wohl zulegen…
PPS: 2010 haben die Amis ihr Remake gemacht. Matt Reeves ist der Regisseur und die Kritiker sind begeistert. Ich bin mal gespannt, ob der auch tatsächlich an diese großartige Vorlage heranreichen kann…
PPPS: Ja, selbst meine sonst so geliebten Vampire aus True Blood sehen gegen Eli ein bisschen alt aus (im wahrsten Sinne des Wortes)…
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